Wie Ennio Morricone in der Dollar-Trilogie die Filmmusik revolutionierte

Vor wenigen Jahren hatte ich tatsächlich die Chance, den „Maestro“ auf einem Live-Konzert zu erleben. Es war mein Geburtstagsgeschenk an meinen Vater, seines Zeichens leidenschaftlicher Western-Fan und im Besonderen Bewunderer von Sergio Leones Filmen, mit denen er aufgewachsen ist. Es dürfte eines der letzten Konzerte von Ennio Morricone in Deutschland gewesen sein – wenn nicht sogar sein letztes – bevor er starb. Dafür sind wir extra nach Berlin gereist, was für uns immerhin 5-6 Stunden sind, um unseren Platz in der ausverkauften Benz-Arena einzunehmen, wo 11.000 Zuschauer einen der größten Filmkomponisten aller Zeiten empfingen.

Natürlich kannte ich seine berühmtesten Stücke, aber tatsächlich war ich zu der Zeit noch gar nicht so sehr mit seinen Werken vertraut. Das änderte jedoch nichts daran, dass mein Vater und ich einen unvergesslichen Abend hatten, bei dem der letzte musikalische Funken auch zu mir überspringen konnte – und das ohne die Mehrheit der Filme zu kennen, denen die Kompositionen zu Grunde liegen.

Seit dem habe ich mich deutlich intensiver mit dem italienischen Komponisten beschäftigt und bin ihm auf filmischer Ebene etwas häufiger begegnet. Daher wende ich mich in diesem Beitrag ihm nun mit etwas Verspätung doch noch genauer zu und rekapituliere einmal anhand der Dollar-Trilogie von Sergio Leone, welche Entwicklung er durchgemacht hat und womit er zu einem der stilprägendsten Filmkomponisten unserer Zeit wurde.

Der Grund, wieso seine Musik auf dem Konzert auch wunderbar alleinstehend ohne die Filme funktionierte, ist natürlich, weil besonders seit seiner Zusammenarbeit mit Leone seine Musik gleichwertig zum Film behandelt wurde. Leone begegnete Morricone auf Augenhöhe und damit war eines der größten Kollaborationen zwischen Regisseur und Komponisten aller Zeiten entstanden. Sie nutzten die Filmmusik als eines der wichtigsten Stilmittel im Italowestern und machten es zum Markenzeichen. Leones Filme sind ohne Morricones Musik schwer vorstellbar.

Heutzutage (fast ganze 58 Jahre nach dem Erscheinen von „Für eine Handvoll Dollar“) ist das immer schwierig zu begreifen, doch zu seiner Zeit war Ennio Morricones Art zu komponieren völlig neuartig. Verglichen zu der üblichen orchestralen Filmmusik, die sich eher im Hintergrund hielt, kann man Morricones Schaffen als ‚Avantgarde‘ bezeichnen. Für uns ist das mittlerweile seit Musikvideos nichts Neues mehr, wie Musik und Video perfekt aufeinander abgestimmt werden. Doch Leone und Morricone zählen dahingehend zu Pionieren, die viel in die Richtung experimentierten. Sie passten die Musik ideal an die Filmbilder an, unterstrichen damit Figuren oder spannende Szenen und verliehen dem Italowestern den nötigen Pathos, der ihm seinen Erfolg garantierte. Und schließlich waren Morricones Kompositionen nicht nur Stimmungsverstärker, sie hatten auch etwas zu erzählen.

Die experimentelle Ader des Komponisten zeichnet sich darin aus, dass er Klänge aus der realen Welt in den Filmscore mit einfließen ließ und somit Gegenstände und Geräusche aus dem Alltag gewissermaßen in seiner Kompositionsweise auch ein Stück Wirklichkeit abbilden. Zu hören sind beispielsweise Hufgetrappel von Pferden, Peitschen, Pistolenschüsse, Glockengeläut und ein großes Spektrum menschlicher und tierischer Ausrufe. Ebenfalls untypisch ist sein Einsatz von ungewöhnlichen Instrumenten. In der Trilogie begegnen wir mehrmals Panflöten, Ocarinas oder Maultrommeln. Auch die Art der Verwendung einer E-Gitarre im Filmscore war einzigartig, wurde sie doch unter anderem mit Chören untermalt oder gar mit einem Orchester.

Morricone ließ dabei aber nie musikalische Komplexität vermissen, denn grundsätzlich kann seine Filmmusik als opernhaft bezeichnet werden. Denn was oft als banal gepfiffene Melodie beginnt, steigert sich gerne mal in opernhafte Ausmaße. Zudem erdachte sich Morricone spannende Leitmotive, also wiederkehrende musikalische ‚Themes‘, die oft Figuren oder bestimmten Situationen zugeordnet werden. Diese waren meist kurz und prägnant, dazu später aber mehr.

Soviel erstmal zur theoretischen Auseinandersetzung mit Morricones Schaffen. Im Folgenden möchte ich wie angekündigt anhand der Dollar-Trilogie euch natürlich auch endlich mal ein paar Beispiele geben, lasse seine Arbeit an den Filmen Revue passieren und versuche mit euch herauszuarbeiten, wie er die Möglichkeiten der Filmmusik neu definierte, verfeinerte und seine eigene Technik vorantrieb. Dabei kommt hoffentlich etwas besser heraus, wie wichtig seine Musik für die Filme wirklich war, wie er seine Kompositionen im Verlaufe der Trilogie in ihrer künstlerischen Komplexität und Qualität steigerte und wie sie aufeinander aufbaut.

Viel Spaß dabei, während ich euch die wesentlichen Szenen und Themes der drei Spaghettiwestern-Klassiker herunterbreche.

„Für eine Handvoll Dollar“ / „A Fistful of Dollars“ / „Per un pugno di dollari“

Der Film begründete Sergio Leones und Ennio Morricones Zusammenarbeit. Tatsächlich wurde Morricone nicht in den Film involviert, bis er abgedreht wurde. Als er für die Filmmusik dazu stieß, erinnerte sich Leone zwar zunächst nicht an ihn, aber wie sich herausstellte, kannten sich die beiden aus der Schulzeit.

Zuvor hatte Morricone die Coverversion eines alten Folk-Songs arrangiert. Als Leone sie zu hören bekam wusste er sofort, dass sein Filmscore genau so klingen sollte. Und siehe da, Peter Tevis Interpretation von „Pastures of Plenty“ wurde prompt zum Main Theme eines Westerns umfunktioniert. Hört gerne mal rein, ihr werdet verblüfft über die Ähnlichkeit sein (Der Vergleich: Peter Tevis – „Pastures of Plenty“/ Ennio Morricone – „Für eine Handvoll Dollar Main Theme“).

Im Main Theme hören wir zuerst die gleiche Akustikgitarre (die mutmaßlich den Klang des Pferdegalopps imitiert), es setzt eine neue gepfiffene Melodie ein, dazu stößt erstmals das Panflötenmotiv (das für den Film noch wichtig wird, zu hören an der Stelle 0:27), wir bekommen den Klang einer Peitsche zu hören, Metall wird aufeinander geschlagen, eine Kirchenglocke ertönt und ein Männerchor singt „We can fight“. Es folgt der Einsatz einer E-Gitarre, Chöre kommen mit Streichern hinzu und samt Percussion steigert sich das Musikthema zu einem kleinen Höhepunkt.

Gleich das erste Stück der Filmmusik, das der Film einem hiermit zu hören gibt, ist ein Paradebeispiel für Morricones Kompositionsweise und vereint viele seiner Eigenheiten. Für das Main Theme verwendete er Alltagsgegenstände in Verbindung mit ungewöhnlichen Instrumenten, Drama und Melodie. Damit war der neue musikalische Sound des Spaghetti-Westerns geboren. Es war eine Einstimmung darauf, dass uns ein heldenhafter, düsterer, gewaltsamer, emotionaler Film erwartet.

Was bei „Für eine Handvoll Dollar“ besonders auffällt, ist, dass das Panflötenmotiv als musikale Interpunktion immer dann eingesetzt wird, wenn Clint Eastwood gewissermaßen etwas Cooles macht. Um es für ihn zu etablieren, wird es gleich eingesetzt, als er direkt in der ersten Szene ein Close-Up auf sein Gesicht bekommt. Etwas später im Film belästigen ihn vier Mitglieder der Baxter-Gang und als er sie darum bittet sich zu entschuldigen, findet das Motiv auch hier wieder seinen Einsatz, hört genau hin (Stelle 2:36 und 3:52):

„Für ein paar Dollar mehr“ / „For A Few Dollars More“ / „Per qualche dollaro in più“

Die große Gemeinsamkeit, die sich dieser Film mit seinem Vorgänger teilt, ist der Einsatz von musikalischen Motiven, bloß gibt es davon hier ein paar mehr. Das Main Theme beginnt gleich mit dem ersten, und zwar hören wir direkt den witzigen Klang einer Maultrommel, die Mortimer (Lee Van Cleef) im Laufe des Films zugeordnet wird. Es folgt wieder einmal eine gepfiffene Melodie und mit etwas Verzögerung unser zweites Motiv, das auf der Panflöte gespielt wird und dementsprechend an Clint Eastwood geht. Anschließend steigert sich das Theme mit Hintergrundchören, E-Gitarre und der Imitation von Pferdegalopp. (Ennio Morricone – „Für ein paar Dollar mehr Main Theme“)

Diese beiden Leitmotive helfen uns, während des Films die Bewegungen und Aktionen der beiden Hauptfiguren nachzuvollziehen. Spannend wird es schließlich mit der Einführung von Indio (Gian Maria Volonté), dem großen Antagonisten („Prison Break“, Stelle 0:42). Dieses Musikstück begleitet Indios Ausbruch aus dem Gefängnis gleich zu Anfang und die bedächtig spielende Orgel in Begleitung eines Gongs deutet schon das Musikthema an, dass sich später als Melodie einer Spieluhr herausstellt, die Indio mit sich führt und die noch eine größere Bedeutung im Film einnehmen wird („Pocket Watch“). Diese Melodie beinhaltet die berühmten „musikalischen Worte“ (in Form von vier Tönen) für den ‚Tod‘. Es handelt sich dabei um ein beliebtes Motiv namens „Dies Irae“, dass über die Jahrzehnte immer wieder gerne von Filmkomponisten aufgegriffen und in etlichen Filmmusiken zitiert wurde (ein knackiges Video dazu findet ihr hier, ist nicht so wichtig aber ein sehr interessanter Exkurs: Why this creepy melody is in so many movies).

Zurück zur Spieluhr, denn mit ihr spielt zum ersten Mal diegetische Musik eine wichtige Rolle. Diegetisch ist übrigens alles, was zur erzählten Welt gehört und demnach ist diegetische Musik das, was auch die Figuren im Film selbst hören können.
Nach seinem Gefängnisausbruch will Indio sich an dem Mann rächen, der ihn hinter Gitter gebracht hat. Dazu bringt er Ehefrau und Kind vor den Augen des Mannes um und zwingt ihn zu einem Showdown. Indio holt die Spieluhr heraus und fordert seinen Widersacher dazu auf seinen Kolt zu ziehen, sobald die Musik stoppt. Es folgt ein lang anhaltender Moment der Spannung, in dem man nur die Spieluhr hört und in der die Musik von diegetisch zu Filmmusik übergeht, indem die Spieluhrmelodie orchestral unterstützt wird (Stelle 2:32).

Dabei macht Morricone etwas bemerkenswertes: plötzlich setzt er eine Pfeifenorgel ein (Stelle 3:10). Sie erinnert stark an Johann Sebastian Bach „Toccata und Fuge in D-moll“, die jedem von euch bekannt vorkommen dürfte. Dieser ‚gothic‘ Sound kann als Beweis dafür verstanden werden, dass Indio wahrhaft der Teufel ist.

Auch für das große Finale des Films spielt die Spieluhr eine zentrale Rolle. Sie wird zum Kern des Showdowns zwischen Mortimer und Indio. Ähnlich wie zuvor baut sich der Spannungsmoment auf, nur dieses mal wird der Part der Pfeifenorgel von mexikanischen Trompeten übernommen und als es zur Auflösung der Situation kommt, nimmt Mortimer die Spieluhr an sich, fügt es mit dem passenden Gegenstück zusammen, dass er bei sich trägt, und wir hören abschließend eine wehmütige Version der Orgelmelodie, die (falls ich mich nicht irre) auf einem Fagott gespielt wird.

Das finale Duell

„Zwei glorreiche Halunken“ / „The Good, the Bad and the Ugly“ / „Il buono, il brutto, il cattivo“

Morricones Filmmusik hatte mittlerweile einen derartig hohen Stellenwert erreicht, dass Leone sie ihn vorab komponieren ließ. Damit konnte er sie zum einen am Set abspielen, damit die Schauspieler in die richtige Stimmung kamen, zum anderen ermöglichte dies Leone, Szenen zur Musik zu schneiden, was für seine Zeit bahnbrechend war.

Fangen wir nun am mit dem Main Theme, das zu den bekanntesten aller Zeiten zählt.

Mit einem simplen jodelartigen Gesang, einer Panflöte und einer Mundharmonika kreierte Morricone ein höchst ungewöhnliches Motiv für die Welt von „Zwei glorreiche Halunken“, aber zugleich hat es einen unmittelbaren Wiedererkennungswert. Im Vordergrund steht die musikale Imitation eines jaulenden Kojoten in der Wüste. Dabei besteht die Melodie dieses Leitmotivs gerade einmal aus zwei Noten (eine reine Quarte) und ist damit kurz und prägnant, was das Wiedererkennen extrem vereinfacht. Mit der unterschiedlichen Verarbeitung des ‚Coyote Themes‘ wird außerdem jede Figur ausgedrückt. Für Blondie (‚The Good‘) ertönt es durch eine Panflöte – das dürfte nun keinen mehr wundern -, für Angel Eyes (‚The Bad‘) durch eine tiefere Flöte und für Tuco (‚The Ugly‘) wird es durch den menschlichen Schrei ausgedrückt.

Was beim weiteren Soundtrack auffällt, ist der für Leone und Morricone untypische Einsatz kummervoller Musik („The Story Of A Soldier“). Sie spielt vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges und damit Leone bezieht in diesem Film erstmals eine etwas stärke Stellung gegenüber dem Leiden des Krieges.

Ebenfalls eines der bekanntesten Film-Tracks ertönt, als Tuco gegen Ende den Friedhof erreicht, auf dem das Gold vergraben sein soll. In „Ecstasy of Gold“ fährt Morricone dann schließlich alle musikalischen Geschütze auf und fängt den Film in seiner vollumfänglichen Epik ein. Hier verspürt man die Anleihen einer Oper besonders stark, sicherlich Morricones Absicht, denn für dieses Lied arbeitete er eng mit der Opernsängerin Edda Dell’Orso zusammen.

Es folgt das große Finale des Films, eine der berühmtesten Filmszenen überhaupt: der ikonische Mexican Standoff. Ein meisterhafter musikalischer Aufbau von langanhaltender Spannung, auf die der Film perfekt geschnitten wurde. Hier kann ich einfach mal Bild und Ton für sich selbst sprechen lassen (Stelle 2:47):


Die Filme gehören zu den einflussreichsten unserer Zeit und Ennio Morricone zu den größten Filmkomponisten die jemals gelebt haben. Er hinterlässt ein riesiges Vermächtnis, das die Zeit überdauern und auch noch die kommenden Jahre nach seinem Tod prägen wird. Möge er in Frieden Ruhen!

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