Filmvergleich (4): Meuterei auf der Bounty (1935) vs. Meuterei auf der Bounty (1962)

Die Geschichte um die HMS Bounty, ihren Kapitän und die im Verlauf der Reise an Bord stattfindende Meuterei, gehört ganz sicher so einem DER klassischen Abenteuerstoffe, ähnlich mitreißend  wie „Die drei Musketiere“, „Robin Hood“ oder „Der Mann mit der eisernen Maske“. Eine lange und gefährliche Reise zu einer exotischen Insel auf einem schnittigen Dreimaster. Raue Kerle, die für eine lange Zeit auf einem kleinen Schiff zusammengepfercht leben müssen und ein Kapitän, der durch übertriebene Härte und einem menschenverachtenden Umgang mit der ihm anvertrauten Besatzung eine Katastrophe heraufbeschwört.

Kein Wunder also, dass es nahezu unzählige Versionen und Interpretationen des Stoffes gibt, die als Buch, Hörspiel, Theaterstück und natürlich auch als Film veröffentlicht wurden. Allein für die Leinwand stach die Bounty (bisher) fünf Mal in See. Die erste bekannte Version stammt aus dem Jahr 1916. Leider gilt dieser Stummfilm bis heute als verschollen. Die nächste Fassung stammt auf dem Jahr 1933 und wurde in Australien produziert.  „In the Wake of the Bounty“ war eher ein Mix aus Spiel- und Dokumentarfilm, der den Versuch unternahm, die tatsächlichen Vorgänge auf der Bounty, sowie das weitere Schicksal der Meuterer weitgehend realistisch darzustellen. Filmisch relevant dürfte „In the Wake of the Bounty“ wohl aber insbesondere deshalb sein, weil es das Debut des späteren Superstars und Frauenlieblings Errol Flynn war, der in den 1930er- und 40er-Jahren, in dutzenden von Piraten- und Abenteuerfilmen, die Leute in Scharen in die Kinos lockte und so manches Frauen- und auch Männerherz brach. In den USA kam „In the Wake of the Bounty“ übrigens nie in die Kinos, da Metro Goldwyn Mayer (MGM) die Rechte kurzerhand aufkaufte, um eine Konkurrenz für die in Produktion befindliche erste eigene MGM-Version der Geschichte von vorn herein auszuschließen.

Beide MGM-Fassungen, die aus dem Jahr 1935 sowie die Adaption von 1962 werde ich im Folgenden eine wenig genauer durch mein Fernrohr betrachten  und miteinander vergleichen, da diese beiden Filme sicherlich die bekanntesten und besten Verfilmungen der Geschichte sind. Natürlich gibt es noch „The Bounty“ von Regisseur Roger Donaldson aus dem Jahr 1984. Trotz namhafter Besetzung (u.a Mel Gibson, Anthony Hopkins und Liam Neeson) und der größten historischen Akkuratesse bot die vorerst letzte Verfilmung des Stoffes wenig Neues und konnte daher keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hinzu kam, dass die ursprünglich geplante Fassung aufgrund interner Streitigkeiten nie umgesetzt wurde und der entstandene Film dann doch eher „unfertig“ wirkte.

Also lichten wir die Anker, setzten jeden Fetzen Segel den wir haben und nehmen Kurs auf Tahiti. Unter dem Kommando von Kapitän (in Wahrheit trat er die Reise auf der Bounty als Lieutenant an) William Bligh stechen wir in See und Richtung Südsee.

Der erste augenscheinliche Unterschied ist natürlich die Farbgebung, bzw. das Fehlen einer solchen. Während die 1935er-Fassung von Frank Lloyd im damals noch typischen schwarzweiß daherkommt (die nachträglich colorierte Fassung kenne ich nicht, ist wohl in Deutschland auch nicht zu bekommen), punktet die Fassung von 1962 (Regie Lewis Milestone) in satten Farben und einem (zumindest im Kino überwältigend wirkendem)  Breitbild-Format. Das macht Lust auf Abenteuer und auf Seefahrt. Selten habe ich ein schöneres Meeresblau als hier gesehen. Die Aufnahmen von Tahiti sind ebenfalls wunderschön und entfachen durchaus so etwas wie Reisefieber, auch wenn Tahiti in heutiger Zeit schon ein wenig anders aussehen dürfte. Auch die Darstellung der Inselbewohner strotzt nur so vor den gängigen Klischees. Zumindest aus heutiger Sicht. Hierin unterscheiden sich die beiden Fassungen allerdings auch nicht.

Wichtigster Mann an Bord eines jeden Schiffes ist neben dem Koch, natürlich der Kapitän. So denn auch auf der Bounty. Die Darstellung von Kapitän Bligh entspricht in beiden Filmen nur bedingt den historischen Fakten und wurde mehr oder weniger darauf reduziert, dass Bligh ein sadistischer Karrierist ist, dem es hauptsächlich daran liegt, die Mitglieder der Mannschaft zu schikanieren und bei jedem Dienstvergehen auf das Härteste zu bestrafen. Der überreichliche Einsatz der Peitsche („neunschwänzige Katze“) und das Kielholen (nicht zu verwechseln mit Bier holen) werden als Blighs bevorzugte Methoden zur Team- und Menschenführung gezeigt, was im 18. Jahrhundert sicherlich den Standard entsprach, heutzutage aber zumindest den Betriebsrat auf den Plan rufen dürfte. Den besseren Schinder und Sadisten gibt hier meiner Meinung nach ganz klar Charles Laughton auf der Lloyd-Bounty ab. Schon seine reine Erscheinung ist furchteinflößend und einschüchternd. Eine wohl hoch geborene Bulldogge mit Dreispitz. Aber auch grandios gespielt von einem Mann, von dem ich viel zu wenig (spontan fällt mir der großartige „Zeugin der Anklage“ ein) gesehen habe. Selbst als er dem Tod durch die Hand der Meuterer ins Auge blickt, verliert er sein Bedrohlichkeit nicht, was man ihm durchaus auch als Courage auslegen könnte. Aber der Film zeigt auch noch eine andere Facette Blighs. Als der mit seinen wenigen Getreuen im Beiboot ausgesetzt wird und eine entbehrungsreiche Seereise von rund 7.000 Seemeilen antreten muss, lernen wir einen durchaus fürsorglichen und besonnenen Kapitän kennen, dem durch seine Fahrt eine seemännische Meisterleistung gelingt.

Trevor Howard, eher ein Darsteller aus der 2. Reihe, gibt einen anderen Bligh. Zwar ist auch er Prügel- und sonstigen Strafen gegenüber nicht abgeneigt, wirkt aber deutlich zurückgenommener in seinem Spiel als Laughton, was der Figur aber seine ganz große Bedrohlichkeit nimmt. Er wirkt eher wie ein Mann, der sich aus einfachen Verhältnissen nach oben gearbeitet hat, und der den niederen Stand, aus dem er kommt, zutiefst verabscheut. Gleichzeitig fühlt er sich aber seinen Offizieren gegenüber intellektuell unterlegen und versucht dies mit übertriebener Härte zu kompensieren. Howards Darstellung hat mich aber bei weitem nicht so gepackt, wie der Laughtonsche Bligh. Sicherlich sind beide auf ihre Art gute Schauspieler. Aber der SW-Bligh von 1935 konnte mich schon immer viel mehr überzeugen.

Zweiter Mann an Bord nach dem Kapitän, ist der 1. Offizier. Hier treffen wir in beiden Filmen auf echte Schauspiel-Großkaliber ihrer Zeit. Clark Gable und Marlon Brando waren Superstars reinsten Wassers. Brando vermutlich der bessere Schauspieler, Gable war halt der beste Gable aller Zeiten, der aber durch sein Spiel auf seine ganz eigene Art verzaubern konnte. Ein Star, wie ihn das Studiosystem des alten Hollywoods nicht perfekter hätte hervorbringen können. Sein Fletcher Christian ist ein leichtherziger Haudegen, wie es so viele in den klassischen Abenteuerfilmen gab. Immer gut gelaunt und immer ein freundliches Wort für die Mitglieder der Mannschaft. Erst allmählich, und nachdem er mehrfach durch den Kapitän beleidigt und vor versammelter Mannschaft erniedrigt wurde, wachsen in ihm der Zorn und die Überzeugung heran, dass man gegen Blighs brutales Regiment an Bord aufbegehren muss und nur Christian selbst der Mann der Tat sein kann.  Er nimmt anfangs alle Konsequenzen, die ihn als Rädelsführer der Meuterei treffen, ohne Reue und Selbstzweifel in Kauf. Erst später erkennt er, dass ihm und all seinen Gefolgsleuten die Rückkehr nach England unmöglich ist, weil hier der Galgen auf sie warten würde. Im Film nimmt diese Selbstreflexion allerdings nur wenig Raum ein, da ein mit sich hadernder Held im Abenteuerfilm der 1930er-Jahre (noch) keinen Platz hatte.

Der von Brando dargestellte Fletcher Christian ist ein versnobter Aristokrat, bei dem es anfangs so scheint, als würde er an der Reise zu den Brotfruchtbäumen von Tahiti nur deshalb teilnehmen, weil sie wie eine angenehme Abwechslung zu den Teestunden, Empfängen und sonstigen gesellschaftlichen Amüsements der englischen Upper Class an Land erscheint.  Seine prinzipielle Abneigung gegenüber Kapitän Bligh ist bereits beim ersten Zusammentreffen der beiden, kurz bevor die Bounty aus dem Hafen ablegt, deutlich erkennbar. Bligh sieht in seinem 1. Offizier einen arroganten Schnösel und Partylöwen, während Christian Bligh als einen Emporkömmling aus der Mittelschicht wahrnimmt, der es nicht aufgrund seiner gesellschaftlichen Ranges, sondern durch harte Arbeit geschafft hat, das Kommando über ein Schiff zu bekommen. Und ausgerechnet dieser Karrierist „aus dem Volk“ ist nun auch noch sein Vorgesetzter. Im weiteren Verlauf der Handlung nutzt Christian einige Gelegenheiten, um Bligh auf seine vermeintliche niedere Herkunft aufmerksam zu machen, was die Abneigung des Kapitäns gegenüber seinem ersten Offizier natürlich nur weiter anfacht. Vermutlich liegt es daran, dass Brando seine Darstellung in der ersten Hälfte des Films ganz überwiegend als blasierter Dandy angelegt hat, so dass er bei mir als Zuschauer nur wenige Sympathiepunkte sammeln kann. Da fehlen mir dann doch die Leichtigkeit und der Charme eines Clark Gable. Erst nach der Meuterei und der Rückkehr nach Tahiti mit den Meuterern, beginnt sich der Charakter Christians/Brandos zu wandeln. Er erkennt die Tragweite der Handlungen seiner Figur für ihn und für seine Getreuen. Es gibt keine Rückkehr nach England, und auch Tahiti ist kein sicherer Zufluchtsort, da hier als erstes nach den Meuterern gesucht werden wird. Christan wird zunächst nachdenklicher, dann gereizt und aggressiv. Er beginnt zu trinken. Schnell wird klar, das die Bounty wieder in See stechen und eine neue Heimat für die Besatzung finden muss. Hierzu wird schließlich die in den Seekarten falsch eingezeichnete Insel Pitcairn, auf die das Schiff zufällig stößt. Hier zeigt sich Brandos Christian als zerrissener Charakter, der erkennt, dass er im Grunde genommen vieles gewonnen, aber letztlich noch mehr verloren hat. In diesem Zwiespalt kommt dann Brandos ganzes Können voll zur Geltung und reißt den Zuschauer unweigerlich mit. Am Ende stirbt Christian bei dem Versuch, das in Brand gesetzte Schiff zu retten. Eine ergreifende Szene, ohne überhöhten Pathos und von Brando perfekt gespielt.

Sollte ich nun entscheiden, welche Darstellung des Fletcher Christian mich mehr beeindruckt hat, würde ich Gables Interpretation bevorzugen, auch wenn sie mich weniger durch schauspielerische Klasse,  dafür aber mehr durch die persönliche Ausstrahlung des späteren Rhett Butlers überzeugen konnte. Brando spielt mir über weite Strecken einfach zu affektiert und gelangweilt. Also, klarer Punkt für „Good Old Hollywood“.

Ansonsten halten sich beide Filme im Groben an die geschichtlichen Tatsachen, auch wenn so manches natürlich ein wenig zurechtgebogen, geschönt oder dramatisiert wird. Im wahren Leben war Bligh nicht sadistischer oder blutrünstiger als die meisten Kapitäne seiner Zeit und diversen Strafen waren durchaus mit dem damaligen Seerecht vereinbar. Das Leben eines einfachen Matrosen bedeutete eben nicht sehr viel, außer als Arbeitskraft. Dies stellen beide Filme auf ihre Art da und gleichzeitig auch in Frage. Die Bounty von 1935 ist insgesamt aber ein wenig beschwingter unterwegs und baut auch einige kurze heitere Szenen ein. Hier nimmt sich der Nachfolger von 1962 wesentlich ernster und ist eher Sozialdrama als Abenteuerfilm, kann dies aber aufgrund der prominent besetzten Nebenrolle (z.B. Richard Harris und Gordon Jackson) auch schauspielerisch glaubwürdig umsetzen. Beide Filme sparen allerdings eine eventuelle homosexuelle Beziehung zwischen Bligh und Christian – einige Historiker meinen hierzu entsprechende Hinweise gefunden zu haben – komplett aus. Gerade in der Version von 1962 hätte man hieraus einiges machen können, da in dieser Zeit allmählich auch in Hollywood brisantere Themen angepackt wurden und eine subtil angedeutete Homosexualität von einem Darsteller wie Marlon Brando sicherlich überzeugend auf die Leinwand gebracht worden wäre. Diese Chance wurde leider nicht genutzt.

Ich kann hier kein eindeutiges Statement dazu abgeben, welcher Film mir besser gefallen hat. Beide „Bountys“ haben ihr Vorzüge, an anderen Stellen aber auch eindeutige Schwächen. Wo Brando als überheblicher Kotzbrocken nervt, kann Gable einfach durch Charme und Spielfreude überzeugen. Laughton als Kapitän Bligh ist die perfekte Verkörperung des Menschenschinders auf See,  Trevor Howard hingehen spielt gekonnt den Karrieretypen, der sich und anderen keine Schwäche auf dem Weg zum eigenen Erfolg durchgehen lässt. Ich mag beide Filme sehr und empfehle sie als Flaggschiffe des nicht ganz modernen Abenteuerfilms.

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