Western Made in Germany? Das klingt seltsam, beinahe schon absurd. Nein, das kann doch nicht funktionieren, oder vielleicht doch? Sieht man mal von einigen Versuchen deutscher Geldgeber ab, zumindest als Co-Produzenten auf den Zug der zeitweise äußerst erfolgreichen Italo-Western aufzuspringen, war da grundsätzlich nicht sehr viel, was der Erinnerung wert wäre. Bestenfalls Skurrilitäten wie „Die Flusspiraten vom Mississippi“ (1959), „Der Kaiser von Kalifornien“ (1936) oder „Potao Fritz“ (1976) bleiben dem geneigten Westernfan da im Kopf. Aber halt, da gab es noch eine Filmreihe in den 1960er-Jahren, die das Genre des Westerns für sich an einigen Stellen neu definierte und nebenbei auch noch ordentlich die Kasse klingeln ließ. Zumindest in Deutschland.
Zwischen 1962 und 1968 entstanden insgesamt 11 Filme, die sich anfänglich mehr oder weniger, später nicht im Entferntesten an die Romane des sächsischen Vielschreibers Karl May (1842 – 1912) angelehnt waren. Zwar hatte es früher bereits einige Versuche gegeben, Romane aus dem sogenannten „Orient Zyklus“ Mays erfolgreich auf die Kinoleinwand zu bringen, stieß beim Publikum aber jedes Mal auf wenig Gegenliebe. Der große Erfolg der 1959 begonnenen Edgar Wallace Reihe brachte dessen Produzenten, Horst Wendlandt, auf die Idee, dass es sicherlich gut wäre, ein zweites Franchise an den Start zu bringen. Ihm war schnell klar, dass sich die thematischen Variationsmöglichkeiten der Wallace-Filme in absehbarer Zeit erschöpft haben würden.
Am 12. Dezember 1962 kam mit „Der Schatz im Silbersee“ der erste Film der sogenannten Winnetou-Reihe in die deutschen Kinos. Der Film wies bereits alle Versatzstücke auf, die die Reihe benötigte, um über viele Jahre ein echter Kassenschlager zu werden. Zuallererst waren da natürlich die Hauptdarsteller. Lex Barker als Old Shatterhand und Pierre Brice als Apachenhäuptling Winnetou wurden sofort in das Herz junger und auch älterer Kinogänger geschlossen, die meist auch schon die Romane gelesen hatten. Die beiden Helden waren Kämpfer und Philosophen zugleich, Liebling aller Schwiegermütter und -väter. Besonders um den Franzosen Brice in seiner Rolle als Winnetou entwickelte sich schon nach dem ersten Film so etwas wie ein Kultstatus, der von seinen treuen Anhängern intensiv gepflegt und ständig neu entfacht wurde. Die Figur des Winnetou verkörperte alle Tugenden, die einen aufrechten Menschen auszeichnen. Winnetou versucht, Konflikte gewaltlos zu lösen, scheitert dann aber an der Raffgier der weißen (oder roten) Schurken und muss letztlich doch zur Waffe greifen. Old Shatterhand ist sein treuer Blutsbruder, der eher einmal die Fäuste oder das Gewehr sprechen lässt.
Zum erweiterten Ensemble der Filme gehörten dann einige Charaktere aus den Romanen, die in den meisten Filmen dann eine mehr oder weniger tragende Rolle spielten. Stellvertretend sei hier Sam Hawkins (gespielt von Ralf Wolter) genannt. Er ist ein erfahrener, aber auch etwas vertrottelter „Westmann“, der sich immer wieder in gefährliche Situationen begibt, um dann in letzter Sekunde von den beiden Blutsbrüdern Winnetou und Old Shatterhand gerettet zu werden. Natürlich haben es sich die damaligen Stars des deutschen Films (z. B. Karin Dor, Götz George oder Uschi Glas) es sich nicht nehmen lassen, ein oder auch gern mehrmals, eine Rolle in den „deutschen Monumentalfilmen“ (Werbetext) zu spielen.
Heimlicher, aber unübersehbarer Hauptdarsteller aller Filme und sicherlich auch ein Grund, warum das Franchise für das Team vor und hinter der Kamera so attraktiv war, dürften die Drehorte im ehemaligen Jugoslawien (gedreht wurde überwiegend im heutigen Kroatien) gewesen sein. Zerklüftete weiße Berg- und Hügellandschaften, grüne Wälder, durchzogen von Flüssen mit kristallklarem Wasser. An einigen Stellen gibt es imposante Wasserfälle zu bewundern. Auch heute noch sind die Landschaften ein unverkennbares Markenzeichen der Karl May Filme.
In Sachen Plot waren die Filme bei Weitem nicht so beeindruckend, wie die Natur, in denen sie spielten. Meist ging es um eine Gruppe von Banditen, die auf der Suche nach Gold, Öl oder Land einen friedlichen Indianerstamm aufs Kreuz legten, wobei diese dann abwechselnd mit Waffen oder Alkohol („Feuerwasser“) zu willfährigen Gehilfen gemacht wurden. Es dauerte dann natürlich nicht lange, bis Winnetou und sein „weißer Bruder Charly“ (= Shatterhand = Karl May) auftauchten und die Sache richteten. Mit dem „Wilden Westen, wie er wirklich war“ (Werbeslogan) hatte das alles natürlich nicht viel zu tun, oder zumindest nur so viel, wie es das deutsche Publikum es gern sehen wollte. So wurde ein Film nach dem anderen zum Volltreffer an der Kinokasse
Erst als Mitte der 60er-Jahre der Italowestern, der vielleicht nicht unbedingt einen realistischeren, aber dafür wesentlich raueren und vor allem brutaleren Ton angestimmte, mussten auch die Macher der Winnetou Reihe ihr Konzept überdenken. Mit „Unter Geiern“ von 1964 ging es dann auch in den deutschen Produktionen härter zur Sache. Allerdings kam dieser Kurswechsel beim Publikum so gar nicht an; man wandte sich stattdessen Django, Sabata und den anderen Antihelden aus Italien zu. Statt den Plitvicer Seen in Kroatien, wolle man lieber die kargen Landschaften von Almeria und die Westernstädte von Cinecittà sehen. 1968 wollte es die deutsche Produktionsfirma dann noch einmal wissen und vereinte in „Winnetou und Old Shatterhand im Tal der Toten“ zum letzten Mal alle Lieblinge der Reihe gemeinsam auf der Leinwand. Aber vergeblich. Das Franchise war tot und zog endgültig in das Reich des großen Manitou ein.
Zu seiner Zeit ganz sicher eine Bereicherung der Kinolandschaft, heute eher schwierig in seinen überaus klischeehaften Charakterzeichnungen und Rollenbildern. Oftmals auch nicht frei von unfreiwilliger Komik, häufig bedingt durch die oftmals wirklich billige Machart der Filme. Dennoch ein für mich durchaus prägendes Stück deutscher Kinogeschichte, selbst wenn ich (bis auf einen) keinen dieser Filme jemals im Kino, sondern im TV gesehen habe. Auch heute noch bieten mir die Filme an einem verregneten Sonntagnachmittag kurzweilige Unterhaltung und bestärken mich immer wieder in meinem Glauben, dass das Gute am Ende über das Böse siegt. Hugh, ich habe gesprochen.
Hier noch Mal ein Überblick über die gesamte Reihe mit all ihre High- und Lowlights, so wie ich sie einordne:
Titel | von | Bemerkungen | Punkte |
Der Schatz im Silbersee | 1962 | Der erste Film der Reihe ist mein Liebling. Bester Cast, schönste Landschaften; der Archetyp der gesamten Reihe. | 5,0/5 |
Winnetou 1. Teil | 1963 | Nach dem unerwarteten Erfolg von 1962, hier nun die Origin Story. Zwei Männer werden Blutsbrüder und Mario Adorf macht mächtig Stunk. | 4,0/5 |
Old Shatterhand | 1964 | Hier steht der weiße Held mit der Schmetterhand im Vordergrung. Nicht weiter erwähnenswert, trotz einiger guter Kampfszenen. | 2,0/5 |
Winnetou 2. Teil | 1964 | Wird oft als bester Film der Reihe bezeichnet. Nicht von mir. Lachhaft ist der Mann im Bärenkostüm in einer der ersten Szenen. Der junge Terence Hill mischt (damals noch Mario Girotti) auch mit. | 3,5/5 |
Unter Geiern | 1964 | Beginn der Zäsur der Reihe. Statt Lex Barker ist Stuart Granger als „cooler“ Old Surehand an Winnetous Seite. Kam weder beim Publikum noch bei mir jemals gut an. | 3,0/5 |
Der Ölprinz | 1965 | Obwohl wieder mit Granger, spannendeUnterhaltung mit tollen Stunts. Gucke ich mir auch heute noch gern an. | 3,5/5 |
Winnetou 3. Teil | 1965 | Abschluss der Winnetou-Trilogie und deren Höhekpunkt. Winnetou wird 90 Minuten lang gejagt, bis er sich schützdend vor seinen „weißen Bruder“ wirft und tödlich getroffen wird. Wer da nicht weint, kann kein menschliches Wesen sein. | 4,5/5 |
Old Surehand 1. Teil | 1965 | Nach wüsten Zuschauerprotesten und Morddrohungen gegen die Produzenten, kehrt der edle Apache (wohl eine Art Spontanheilung) aus dem Reich der Toten zurück. Da hätte er auch besser bleiben sollen. Die angedachte neue Trilogie (siehe Titel) blieb den Zuschauern erspart. Gleiches gilt für einen nochmaligen Auftritt von Stewart Granger. | 2,5/5 |
Winnetou und das Halbblut Apanatschi | 1966 | Absoluter Tiefpunkt der Reihe. Sehr viel Liebe, dafür nur wenig Hiebe. Winnetou taucht auch nur kurz mal auf. Der Versuch, die übliche Formel der Filme zu ändern, scheitert grandios. | 1,0/5 |
Winnetou und sein Freund Old Firehand | 1966 | Die Titel werden immer länger, die Filme immer schlechter. Da hilft auch der „Hollywood Star“ Rod Cameron (wer?) als Old Firehand nicht. Durch kompetent inszenierte Action nicht ganz so mies wie der Vorgänger | 1,5/5 |
Winnetou und Old Shatterhand im Tal der Toten | 1968 | Der Versuch, der Reihe neues Leben einzuhauchen, gelingt nicht. Die Zeiten haben sich geändert, Winnetou und Old Shatterhand leider nicht. Alter Wein in alten Schläuchen. Einziger Pluspunkt der gute Cast, der alle Helden früherer Filme noch einmal vereint. Granger ist glücklicherweise nicht dabei. | 2,5/5 |