Kennt ihr den Homunkulus, den Vogel Roch, Talos oder Mighty Joe? Nein? Wie schade. Denn es lohnt sich. Was sie alle eint, ist der Umstand, dass Ihnen ein Mann Leben eingehaucht und das Laufen beigebracht hat. Die Rede ist von Ray Harryhausen, einem der ganz großen Visionäre des populären Kinos und ein Mann, der wie nur wenige andere vor und nach ihm, die filmische Tricktechnik beeinflusst und revolutioniert hat.
Harryhausen (1920 -2013) begann sich schon als Kind für Film zu interessieren; insbesondere die – noch in den Anfängen befindliche – Tricktechnik faszinierte ihn. Spätestens als er im Jahre 1933 „King Kong“ („King Kong und die weiße Frau“) im Kino sah, entbrannte seine Leidenschaft endgültig. Der Film über das verliebte Affenmonster, das zunächst auf einer fernen Insel lebt und später New York in Angst und Schrecken versetzt, war eines der ersten Werke Hollywoods, in dem ein fiktives Wesen nur durch technische Tricks auf der Leinwand scheinbar zum Leben erweckt wird. In den Jahren davor erfolgte die Darstellung übernatürlicher Wesen meist durch Schauspieler in entsprechender Maske und/oder Verkleidung.
Die Verfahren, mit dem King Kong Leben eingehaucht wurde, war dem Grund nach simpel, in der praktischen Umsetzung allerdings äußerst zeitaufwendig und somit sehr teuer, was viele Filmstudios davon abhielt, es einzusetzen: Beim sogenannten „Stop-Motion“ Verfahren (bereits Ende des 19. Jahrhunderts erstmalig eingesetzt und seither kontinuierlich weiterentwickelt und perfektioniert) werden die zu animierenden Objekte in einer Vielzahl von Einzelbildern („Frames“) aufgenommen. Für jeden einzelnen Frame, wird die Stellung der Gliedmaßen des Models ein kleines Stück verändert, so dass beim Abspielen der Bilder in einer gewissen Geschwindigkeit der Anschein entsteht, das Modell würde sich bewegen. Am einfachsten lässt sich das Verfahren mit dem guten alten Daumenkino vergleichen, das wohl jeder aus seiner Kindheit kennt.
„King Kong“ war für die damalige Zeit ein echter Kassenschlager und brachte Bilder auf die Leinwand, die es in dieser Art noch nie im Kino zu sehen gegeben hatte. Die Szene, in der Kong mit dem T-Rex kämpft oder in der er das Empire State Building erklimmt, gehören sicherlich zu den ikonischsten der Filmgeschichte. Das Genre des Monsterfilms war geboren und startete gleich mit einem echten Klassiker.
Fasziniert von dem, was er auf der Leinwand sah, war Harryhausen klar, dass „King Kong“ eine neue Ära der Tricktechnik eingeläutet hatte, dass dies aber im Hinblick auf das Stop-Motion Verfahren nur der erste (große) Schritt gewesen sein konnte und sich noch ganz andere Möglichkeiten auftun würden. Und schon der Teenager Ray Harryhausen sah es als seine Bestimmung an, hier als Geburtshelfer ganz kräftig mitzuwirken.
Anfang der 1940er-Jahre arbeitete er bereits für kleinere Studios, um dort Kurzfilme, die nur eine Spielzeit von wenigen Minuten hatten und meist auf Kindermärchen zurückgingen, im Stop-Motion Verfahren herzustellen. Auch wenn die Filme vom Publikum wenig beachtet wurden und nicht mehr als Vorfilme vor dem Hauptprogramm waren, erkannte man schnell Harryhausens Talent und es sollte nicht lange dauern, bis er an einem „richtigen“ Film mitwirken konnte.
1949 kam dann „Mighty Joe Young“ (deutscher Titel „Panik um King Kong“, hatte aber mit dem Original von 1933 nicht das Geringste zu tun) in die Kinos, in dem es um einen „echten“ Gorilla ging, der seiner afrikanischen Heimat entrissen wird, um in Los Angeles turbulente Abenteuer zu erleben. Auch wenn das fantastische Element fehlte und der Film sich an ein durchweg jüngeres Publikum wandte, war der von Harryhausen (zusammen mit „King Kong“ Cheftechniker und Harryhausens erstem Lehrmeister Willis O’Brien) kreierte und in Stop-Motion Technik animierte Gorilla so überzeugend, dass sich Harryhausen vor Angeboten nicht retten konnte. Und so kamen in kurzer Folge unzählige Dinosaurier, Riesenkraken und außerirdische Monsterechsen auf die Leinwand. Diese hatten meist die Absicht, wenn nicht gleich die Erde, aber zumindest doch ihren irdischen Wirkungskreis in Schutt und Asche zu legen. Filmische Meisterwerke waren allerdings eher nicht dabei. Die Streifen dienten Harryhausen viel mehr als Fingerübung, um seine Technik weiter auszubauen und an eigenen Ideen zu arbeiten.
Lange schon war Harryhausen von dem Gedanken fasziniert, die Geschichten aus Tausend und eine Nacht mit ihren Fabelwesen, einäugigen Riesen, Flaschengeistern und bösen Zauberern auf die Leinwand zu bringen. Mit „The Seventh Voyage of Sindbad“ („Sindbads siebte Reise“) von 1958 konnte er seinen Traum in die filmische Realität umsetzen. Der temporeiche Abenteuerfilm, voll von verwegenen Seefahrern, schönen Prinzessinnen und schurkischen Magiern, bot ein buntes Sammelsurium an phantastischen Kreaturen, von denen der Zyklop sicherlich das beeindruckendste Phantasiewesen war. Harryhausen gelang es, den einäugigen Giganten so lebensecht zu animieren, dass man schon beinahe annehmen konnte, dass wir es tatsächlich mit einem Wesen aus Fleisch und Blut zu tun haben. Selbst die Mimik wirkt äußerst realistisch.
Der Film überzeugte sowohl an der Kinokasse als auch bei den Kritikern. Filmemacher in aller Welt waren begeistert. Für die damalige Zeit tricktechnisch das Beste, was es auf der Leinwand zu sehen gab. Auch heute noch zählt „Sindbads siebte Reise“ zu den ganz großen Abenteuerfilmen. Ray Harryhausen hatte seinen Weg gefunden und folgte ihm von nun an konsequent. Und er schaffte es tatsächlich, das Publikum mit immer neuen und phantastischeren Kreaturen zu beeindrucken und zu gruseln.
1963 setzte das Animations-Genie mit „Jason and the Argonauts“ („Jason und die Argonauten“) erneut neue Maßstäbe in der Tricktechnik. Dieses Mal ging es um einen Stoff, der sich vage an Geschichten und Figuren aus der griechischen Mythologie anlehnte. Unübertroffen die Szene, in der Jason und seine Gefährten sich einen atemberaubenden Kampf mit einer Horde von schwer bewaffneten Skeletten (!) liefern. Die Dreharbeiten für die Szene, die im Film rd. drei Minuten dauert, nahem mehr als vier Monate in Anspruch. Zunächst wurden die Schwertkampfszenen mit den Schauspielern und Stuntman einstudiert. Dann folgten die Aufnahmen für die Animation. Als diese dann vollständig beendet waren, wurden sie teilweise über die Realaufnahmen kopiert, so dass die Stuntmen nicht mehr zu sehen waren und es so wirkte, als würde Jason tatsächlich die Klinge mit einem zum Leben erweckten Skelett kreuzen. Eine technische Meisterleistung und eine echte – um beim mythologischen Duktus zu bleiben – Sisyphusarbeit.
Es folgten etliche weitere Filme, in denen Harryhausen seine kreativen Ideen auf Celluloid zaubern konnte und das Publikum immer wieder aufs Neue zu überraschen wusste. Ob Amok laufende Dinosaurier im Wilden Westen („The Valley of Gwangi“, 1969), eine zum Leben erweckte sechsarmige Statue der Kali („The Golden Voyage of Sindbad“, 1973) oder ein stählerner Minotaurus („Sindbad an the Eye of the Tiger“, 1977). In jedem Film, an dem Harryhausen als Tricktechniker beteiligt war, gab es neue lebensecht wirkende Kreaturen, Monster und Phantasiewesen „mit Charme und Charakter“ zu bestaunen.
Allerdings hatten sich im Laufe der Jahrzehnte Hollywoods Trickschmieden auch in anderen Bereichen weiterentwickelt. Filme wie z. B. Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ von 1968 hatten gezeigt, dass man phantastische Welten oder Szenarien auch mit anderen Mitteln und Techniken überzeugend und vor allem viel weniger zeit- und kostenintensiv darstellen konnte. Spätestens als 1977 George Lucas „Star Wars“ in die Kinos kam und die Computertechnik ihren ersten großen Auftritt in Hollywood hatte, begann Harryhausens Stern zu sinken und die Stop-Motion Animation galt als veraltet und überholt. Auch wenn bis heute noch immer wieder einmal einzelne Filmszenen nach dem Verfahren im Kino zu sehen sind, hat dies dann meist aber mehr nostalgische als praktische Gründe. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten scheint alles möglich und darstellbar zu sein. Allerdings dürften nur wenige Animationen heutzutage mit so viel Liebe zum Objekt gemacht sein, wie sie ein Ray Harryhausen in „seine Wesen“ investiert hat. Eine späte Ehrung für sein Lebenswerk erhielt der „Master of the Monsters“ erst 1992. als er mit dem Ehren-Oscar ausgezeichnet wurde.
Ein grandioser Künstler! Allein die schier übermenschliche Geduld, die für dieses Verfahren notwendig ist…
Ich hoffe Harryhausen wäre froh, wenn er wüsste, dass es heute gleich zwei Studios (Aardman und Laika) gibt, die mit Stop-Motion erfolgreich sind!
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Du kennst dich aus….
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