Der erste Film, den ich je im Kino gesehen habe, oder zumindest den als ich ersten Film meines Lebens in Erinnerung habe, war der Disney-Klassiker „Bambi“ aus dem Jahr 1942. Um gleich irgendwelchen Spekulationen entgegenzuwirken: nee, es war definitiv nicht die deutsche Uraufführung von 1950. Ort des Geschehens war damals das imposante Hamburger Grindel-Kino (offiziell damals „Ufa Grindel Filmtheater“), eines der großen traditionellen „Lichtspieltheater“ der Stadt. Das Grindel hatte zum Zeitpunkt meines ersten Besuchs schon eine recht wechselhafte und turbulente Geschichte hinter sich, selbst wenn es – eröffnet wurde es 1959 – viele Kinos in der Stadt gab, die um einiges älter waren. Leider sind in diesen Tagen alle geschichtsträchtigen Filmtheater in meiner Stadt verschwunden. Lediglich ein echter Kino-Dinosaurier (das „Passage-Kino“ in der Innenstadt) hat nunmehr schon mehr als 100 Jahre durchgehalten und allen Kinokrisen getrotzt. Ich hoffe sehr, dass auch die Corona-Krise diesem Diamanten der Filmkunsttheater nichts anhaben kann.
Aber Stätten, an oder in denen man sich kinematographische (ein Kombination der griechischen Wörter „kinesis“ = bewegt/Bewegung und „graphein“ = zeichnen, also lose übersetzt „aufgezeichnete Bewegung“) Bilder gegen Bezahlung anschauen konnte, gab es bereits etwas früher, nämlich bereites im ausgehenden 19. Jahrhundert, als auf Jahrmärkten und Rummelplätzen in New York, Paris und Berlin die ersten Buden öffneten, in denen es so etwas wie kurze Filme gezeigt wurden. Sicherlich bestenfalls nur im Ansatz mit dem vergleichbar, was nur wenige Jahre später auf den Leinwänden zu sehen sein würde. Aber immerhin, eine neue Sensation war geboren. Gerade noch rechtzeitig, da man damals landläufig der Auffassung war, dass alles, was die Menschheit für ein glückliches und wohlhabendes Leben brauchen würden, spätestens bis zur zum Jahreswechsel 1899/1900 erfunden sein würde. Wie gut, dass man sich ab dem Jahr 1900 offenbar dann doch anders entschieden hat, sonst würde ich hier jetzt nicht in WordPress diesen Beitrag schreiben können.
Schnell erkannte man, dass mit dem neuen Medium viel Geld zu verdienen ist, was dazu führte, dass sich zahleiche Investoren fanden, die bereit waren, Kapital in die Weiterentwicklung und vor allem die weitere Kommerzialisierung des Films zu stecken. Da Film inzwischen auch in der breiten Masse angekommen war und sein Image als Jahrmarktskuriosität verloren hatte, kam bald die Idee auf, in den großen Städten feste Orte einzurichten, in denen regelmäßig Filme gezeigt wurden. Das erste „Nickelodeon“ (Nickel = 5-Cent-Stück in den USA, Odeon = griechisches Wort für Theater) eröffnete bereits im Jahre 1895 in Los Angeles. Schnell verbreitete sich die neuen Sensation rund um den Globus. Die deutsche Entsprechung der Nickelodeons nannte sich damals „Kintopp“. Das Programm dieser Ur-Kinos war allerdings durchaus übersichtlich. Meist hatten die Filme nur eine Laufzeit von wenigen Minuten. Auch filmische Raffinesse hatte sich noch nicht völlig durchgesetzt. Gezeigt wurden oftmals lediglich in einer Einstellung abgefilmte Alltagsbegebenheit, wie z.B. das Verlassen von Arbeitern einer Fabrik zum Feierabend und ähnliche cineastische Highlights. Dennoch, die Anhängerschaft der bewegten Bilder wuchs ständig. Insbesondere Arbeiter und Bürger aus der Mittelschicht hatten eine neue und vergleichsweise günstige Freizeitbeschäftigung gefunden.
Die ständig steigenden Nachfrage nach immer neuen und immer mehr Filmen führte dazu, dass sich allmählich eine riesige Industrie entwickelte und in der ganzen Welt Filmstudios wie Pilze aus dem Boden schossen. Als Stichwort sei hier Hollywood genannt, wo ab 1910 die ersten großen Fließbandfabriken für unterhaltsame Filmstunden entstanden. Gleichzeitig vervielfachte sich auch die Anzahl der Kinos in den Städten, die ersten Ketten entstanden. Allmählich wurden Filme länger, hatten eine Handlung, eine Dramaturgie. So mussten auch die Kinos nachziehen und mehr Ambiente und mehr Komfort bieten. Sie orientierten sich hieran in Ausstattung und Interieur an den großen Theater- und Opernhäusern der Welt und wurden dadurch ihrem Kosenamen, FilmTHEATERN, zumindest äußerlich gerecht. Kinos entwickelten sich zu Erlebnisstätten, zu Orten, an denen es sich herrlich träumen ließ. Vergessen waren die zugigen und sitzplatzlosen Behelfslösungen der Anfangsjahre. Die Macher der Studios verstanden es auch geschickt, das Publikum zu hingebungsvollen Jüngern das neuen großen Stars der Stummfilmzeit zu machen, die mit immer neuen und immer spektakuläreren Filmen die Leute ins Kino zu lockten. Heute beinahe vergessenen Namen wie Rudolph Valentino, Douglas Fairbanks und Mary Pickford waren die ersten echten Superstars der Branche, deren Popularität sich im Ansatz bestenfalls mit der eines Elvis Presley oder Michael Jackson vergleichen lässt. Für viele Jahre bildeten diese „Auserwählten“, etwas später dann noch gefolgt von Charlie Chaplin, die absolute Götterriege Hollywoods. Der hiermit verbundene Glamour bildete sich passenderweise auch immer mehr in den Kinos ab, die im Laufe der 1920er-Jahre zu wahrhaft luxuriösen Filmpalästen ausgebaut wurden, in denen den Besuchern das Gefühl vermittelt wurde, sie selbst wären die wahren Superstars.
Die erste Zäsur im Filmgeschäft setzte mit Einführung des Tonfilms (z.B. „The Jazz Singer“ von 1927) ein. Wenn auch anfangs noch als technische Spielerei verlacht, stellten die Studios schnell fest, dass sie sich umstellen mussten, um mit der neuen Technik auch Schritt halten zu können. Dies galt dann natürlich auch für die Kinos, die in ihren Häusern entsprechende Ton- und Lautsprecheranlagen installieren mussten, um weiter auf der Höhe der Zeit bleiben zu können. Der Stummfilm starb einen schnellen und leisen Tod.
Die Möglichkeit des Tons, insbesondere natürlich der Einsatz von Sprache und Musik, eröffnete den Filmschaffenden neue, bisher verschlossen gebliebene Möglichkeiten. Die Filme wurden länger, da sie ab jetzt in der Lage waren, komplexere Handlungen zu transportieren. War ein Stummfilm in der Regel 20 Minuten (in Ausnahmefällen auch schon einmal eine Stunde) lang, ließen sich jetzt bequem 90 Minuten oder auch 2 Stunden füllen. Die veränderten Spielzeiten führten dazu, dass auch die Kinos ihr Geschäftsmodell überdenken mussten. Da jetzt pro Tag in Summe weniger Vorstellungen gezeigt werden konnten, mussten die Eintrittspreise steigen, um rentabel zu bleiben. Die Zuschauer waren anfangs auch gern bereit, für dieses Mehr an Unterhaltung auch einen Aufpreis zu zahlen. Allerdings kam es dann zu einem Ereignis, welches die Welt, fast noch mehr noch als der Erste Weltkrieg der Jahre 1914-1918, aus den Angeln zu heben drohte. 1929 kam es an den weltweiten Börsen zu dramatischen Kurseinbrüchen von bisher nicht gekannten Ausmaßen. Ähnlich wie bei der Internetblase Anfang der 2000-er Jahre, hatten sich viele Menschen hoffnungslos verschuldet, um von den vorher für lange Zeit stetig steigenden Aktienkursen an der Börse zu profitieren. Handwerker, Büroangestellte, Hausfrauen investierten sämtliche Ersparnisse, nahmen zusätzlich noch Kredite auf, damit aus sie am vermeintlichen Boom teilhaben können. Als die Kurse dann im Oktober 1929 ins Bodenlose abstürzten, standen viele vor dem Nichts. Die Wirtschaft kollabierte weltweit, die Arbeitslosenzahlen schossen in die Höhe, ebenso die Selbstmordraten. Kino konnte sich kaum noch jemand leisten. Die „große Depression“ wirkte sich somit auch global auf die allgemeine Stimmungslage in den Ländern aus. Kinotickets wurden für viele unerschwinglich und der Ort der Träume, an dem man für die Dauer einer guten Stunde dem, auch schon vor der Wirtschaftskrise oftmals nicht einfachem, Alltag entfliehen konnte, blieb für viele Menschen verschlossen.
Gegen Ende der 1930er-Jahre erholte sich die Wirtschaft, dank groß angelegter Konjunktur- und Wirtschaftsprogramme (z.B. der „New Deal“ in den USA) allmählich wieder. Die Menschen hatten wieder Arbeit, hatten wieder Geld in den Taschen, die Nachfrage nach Konsumgütern sowie nach Kultur und Unterhaltung stieg wieder an. Begünstigend kam hinzu, dass sich eine neue Innovation im Film zügig etablierte. Der Farbfilm war da und eröffnete neue kreative, insbesondere natürlich visuelle Möglichkeiten des Filmemachens. Die Menschen strömten wieder zuhauf in die Kinos und eine weitere Blütezeit des Kinos brach an, die dann bis in die späten 1950er-Jahre andauerte.
Mit Verbreitung von Fernsehgeräten in den privaten Haushalten mussten die Kinos dann wiederum durch ein weiteres Jammertal schreiten. Die Leute blieben jetzt lieber zuhause und schauten „Bonanza“ oder „77 Sunset Strip“, anstelle der sich inzwischen immer häufiger selbst kopierenden Produktionen aus Hollywood. Auch wenn die Studios durch immer aufwendigere und bombastischere Bild- und Tonverfahren versuchten, die Leute in die Kinos zu bringen, blieben die Vorführräume oftmals leer. Einzig das Mutterland des kommerziellen Kinos, die USA, kam mehr oder weniger ungeschoren durch die Krise, u.a. durch die neu entdeckte Mobilität junger Menschen, die in ihren Autos saßen und die speziell für ein jüngeres Publikum gemachten Filme in den landesweit verbreiteten Drive-In-Cinemas (Autokinos) genossen.
Erst mit dem Auslaufen der 1960er-Jahre kam wieder mehr Interesse am Kinobesuch auf. Durch das Ende des Studiosystems in Hollywood sowie durch junge und ambitionierte Filmemacher wie Scorsese, Ford Coppola, Spielberg und Lucas wehte ein neuer frischer Wind in der Traumstadt. Es wurde jetzt realistischere Stoffe, mit realistischeren Charakteren auf die Leinwand gebracht, was dazu führte, dass die Zuschauerzahlelen wieder zu steigen begannen. Auch wenn sich beileibe nicht jeder Produktion des „New Hollywood“ als Kassenschlager herausstellte, so gelang es doch, ein neues Publikum für das Medium Film und somit auch für Kinos zu begeistern. Spätestens aber als dann 1975 mit Steven Spielbergs „Jaws“ (Der weiße Hai) der erste echte Blockbuster in die Kinos kam und Geld in bis dahin nicht gekannten Dimensionen in die Kinokassen spülte, kam es zu einer neuen Götterdämmerung des Kinos und ebenso der Kinos.
Seither hat es immer wieder Entwicklungen gegeben, die den Kinos das Leben oder sogar das Überleben schwer gemacht haben: doch weder die Einführung von VHS-Videos oder DVDs, ab Mitte der 1980er-jahre bzw. den späten 1990er-Jahren, noch die kommerzielle Verbreitung der Blu-ray Disc vor rund 15 Jahren, schafften es nicht, den Kinos den Garaus zu machen. Auch wenn nicht mehr mit der Strahlkraft vergangener Jahrzehnte aber dennoch fest auch zwei Beinen stehend, sind Kinos noch immer da und noch immer gibt es Menschen, die einen Kinoabend immer einem Couchabend mit Netflix & Co. vorziehen. Und auch Corona wird nicht dazu führen, das Kinos aus dem Alltagsbild verschwinden werden. Kurzzeitig angezählt, aber noch lange nicht am Boden.
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